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Sozialistengesetz und Schutzzoll

Seit der Rede von August Bebel im Reichstag 1871 zu Gunsten der Pariser Kommune sah Bismarck in den Sozialdemokraten eine revolutionäre Bedrohung. Schon damals skizzierte er seine zukünftige Politik so: „1. Entgegenkommen gegen die Wünsche der arbeitenden Klassen, 2. Hemmung der staatsgefährlichen Agitation durch Verbots- und Strafgesetze.“

Nach Bismarcks Ansicht verstärkten die sozialen Auswirkungen der Gründerkrise die revolutionäre Gefahr. Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1878 dienten Bismarck als willkommener Anlass, mit einem Sozialistengesetz gegen die Sozialistische Arbeiterpartei vorzugehen. Im neuen Reichstag stimmten schließlich auch die Nationalliberalen dem Sozialistengesetz zu. Es blieb, mehrfach vom Parlament verlängert, bis 1890 in Kraft. Dieses Ausnahmegesetz verbot die sozialistische Agitation, während die politische Arbeit der sozialdemokratischen Parlamentarier davon unberührt blieb. Letztlich verfehlte das Gesetz seinen Zweck und trug ungewollt zur Verfestigung eines sozialistischen Milieus bei, denn erst jetzt setzte sich die marxistische Theorie wirklich durch. Bemerkenswert ist, dass Bismarck dem Thema später in seinen Gedanken und Erinnerungen kein einziges Wort widmete.

Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wurde im Jahr 1878 der Ruf von Großgrundbesitzern und Schwerindustriellen nach Schutzzöllen lauter. Bismarck stützte sich stattdessen auf die Deutschkonservative Partei, auf die Freikonservativen und auf das Zentrum. Die liberale Ära war damit beendet. Bismarck betonte nunmehr die Bedeutung des Obrigkeitstaates als Garanten der nationalen Einheit und setzte auf eine nationalkonservative Sammlungsbewegung unter Einschluss des Zentrums. Der Übergang vom Freihandel zum Protektionismus vollzog sich in den folgenden Jahren in mehreren Schritten. Bismarck hoffte, aus seinem Eingehen auf die Wünsche der Verbindung von „Roggen und Eisen“ politisches Kapital schlagen zu können, um die konservative Basis des Reiches auszubauen und seine eigene Position zu festigen.

Sozialgesetzgebung und Staatsstreichpläne

Das Feld der Auseinandersetzung sollte die Sozial- und Wirtschaftspolitik werden. Daher übernahm er 1880 selbst das Amt des Handelsministers, das er bis 1890 bekleidete. Um Einfluss auf die Wirtschaftsgesetzgebung zu nehmen, versuchte er einen Volkswirtschaftsrat aus Vertretern der Wirtschaftsverbände zu etablieren, mit dem das Parlament umgangen werden sollte. Hauptziel von Bismarcks Sozialpolitik war, eine stärkere Staatsbindung zu erzeugen. Geplant war zunächst nur eine Unfallversicherung, später kamen Versicherungen gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut hinzu. Diese sollten weitgehend staatlich kontrolliert sein – zeitweise sprach Bismarck sogar von Staatssozialismus. Bismarcks persönliche Motive stießen auf heftigen Widerstand. Letztlich strich das Parlament aus der Gesetzesvorlage zur Unfallversicherung alle „staatssozialistischen“ Elemente heraus. Die Krankenversicherung wurde demgegenüber von der Selbstverwaltung der Arbeiter bestimmt. Im Laufe der Zeit dominierten daher die Sozialdemokraten viele der Allgemeinen Ortskrankenkassen.

Mit der Sozialgesetzgebung legte Bismarck die Grundlage des modernen Sozialstaats, erreichte seine machtpolitischen Ziele jedoch nicht. Der Versuch, der Sozialdemokratie die „Wurzeln abzugraben,“ schlug mittelfristig genauso fehl wie das Vorhaben, den Obrigkeitsstaat zu Lasten der Parteien auszubauen. Damit verlor Bismarck an der Sozialgesetzgebung das Interesse. Die Alters- und Invalidenversicherung von 1889 wickelte (уладил) er dann lediglich geschäftsmäßig ab.

„Der Lotse geht von Bord“

Die Punch-Karikatur Dropping the Pilot (im Deutschen meist übersetzt mit: Der Lotse geht von Bord) von Sir John Tenniel zur Entlassung Bismarcks 1890

Auch wenn Bismarck alles tat, um potenzielle Nachfolger auszuschalten, mehrten sich seit dem Ende der 1880er-Jahre doch die Anzeichen dafür, dass seine politische Führungsrolle sich dem Ende zuneigte. In der politischen Öffentlichkeit wurde der Ruf nach einer Abkehr von der nur bewahrenden Diplomatie Bismarcks zu Gunsten einer dynamischen und risikobereiten Außenpolitik laut.

Am 15. März 1890 entzog Kaiser Wilhelm dem Kanzler wegen dessen Konfliktkurses endgültig die Unterstützung. Das Entlassungsgesuch Bismarcks datiert vom 18. März 1890. Die Öffentlichkeit reagierte mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt. Der grosse deutsche Schriftsteller Theodor Fontane schrieb: „Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind. Er <…> tat was er wollte, und forderte immer mehr Devotion. Seine Größe lag hinter ihm.“ Als Nachfolger Otto von Bismarcks wählte der Kaiser den politisch unerfahrenen General Leo von Caprivi.

Bismarck zog sich verbittert nach Friedrichsruh zurück, doch verabschiedete er sich damit nicht endgültig von der Politik. „Aber das kann man nicht von mir verlangen, dass ich, nachdem ich vierzig Jahre lang Politik getrieben, plötzlich mich gar nicht mehr damit abgeben soll.“ Bereits einen Tag nach seinem Rücktritt verkündete Bismarck, seine Memoiren verfassen zu wollen. Die ersten beiden Bände erschienen 1898 und wurden zu einem sensationellen Erfolg. Der dritte Band wurde erst 1921 veröffentlicht.

Der Tod seiner Frau im Jahr 1894 traf Bismarck tief. Ab 1896 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand immer deutlicher und er war schließlich auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Erkrankungen, die er gegenüber der Öffentlichkeit und sogar gegenüber seiner Familie verschwieg, führten am 30. Juli 1898 zu seinem Tod. Seine letzte Ruhestätte fand er neben seiner Frau in einem Mausoleum auf Friedrichsruh.

Das Bismarck-Mausoleum in Friedrichsruh Das Bismarck-Nationaldenkmal in Berlin



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